Mittwoch, Februar 14, 2018

"Die Barbaren sind mitten unter uns" – News vom 14. Februar 2018

1.
Eine 33-Jährige soll einen Vaterschaftstest manipuliert und einen zeugungsunfähigen Mann zum zahlungspflichtigen Vater gemacht haben.


Hier erfährt man mehr darüber. Insgesamt hatte der Kuckucksvater rund 32.000 Euro Alimente gezahlt.



2. Der Berliner Tagesspiegel hat die ehemalige Frauenministerin Kristina Schröder zur Sexismus-Debatte interviewt:

Tagesspiegel: Sollen Frauen anzügliche Bemerkungen in Kauf nehmen?

Kristina Schröder: Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die auch nicht gut. Aber Sie werden niemals die Regel durchsetzen können: "Nur noch geistreiche Komplimente". Darunter versteht jeder etwas anderes. Wenn Sie also tumbe Komplimente umgehen wollen, dann wird das nur mit der Verhaltensnorm "Gar keine Komplimente mehr" funktionieren. Dann müsste also die Anziehung zwischen Männern und Frauen im professionellen Kontext komplett ausgeblendet werden. Das würde dazu führen, dass sich Männer und Frauen im Büro wie rohe Eier behandeln und Sorge haben, miteinander alleine im Fahrstuhl zu stehen. Dass sie immer einen Dritten bei Gesprächen hinzuziehen. So eine Arbeitswelt finde ich komplett unattraktiv.

(...) Tagesspiegel: Muss eine junge CDU-Politikerin wie Jenna Behrends, die 2016 eine Debatte über Sexismus in der Politik lostrat, dann also damit leben, dass sie "süße Maus" genannt wird?

Kristina Schröder: Es ist ja sehr umstritten, was im Fall Jenna Behrends wirklich alles los war. Auf jeden Fall hat sie sehr schnell politische Mandate bekommen, für die andere zehn Jahre Plakate kleben.




3. In der Frankfurter Rundschau interviewt Joachim Frank Nora Gomringer zum Gedicht "avenidas" ihres Vaters. Ein Auszug aus diesem Gespräch genügt eigentlich schon:

Joachim Frank: Da liegt die Frage nach dem Zusammenhang zwischen der Debatte über "avenidas" und der #MeToo-Kampagne gegen sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt.

Nora Gomringer: Faktisch ist beides vermengt worden, obwohl ich glaube: Es ist die richtige Debatte am falschen Objekt. Aber mal ehrlich, es bleibt mir ja auch fast nichts anderes übrig, als das zu sagen. Erst das Gedicht meines Vaters verteidigen und dann auch noch – Catherine-Deneuve-like – die #MeToo-Kampagne kritisieren? Was glauben Sie, was dann los wäre?




4. Selbst dass in der Sexismus-Debatte – wie eigentlich in allen Debatten zum Geschlechterthema – Frauen das große Wort führen und Männer zum Verstummen gebracht worden sind, lässt sich journalistischerseits als Ausdrucksform von Männerherrschaft umdeuten:

Solche Frauen werden derzeit von einer Talkshow in die nächste gereicht. Es sind immer dieselben. Die Männer sind derweil still. Der Kavalier schweigt und geniesst. Er hat auch keinen Grund, etwas zu sagen. Der Mann ist, ob er will oder nicht, nachweisbar Herr der erotischen Welt, egal, ob er die Gelegenheit, die sich bietet, nutzt oder nicht.


Natürlich reden wir Männer durchaus, hier und andernorts in den sozialen Medien sogar häufig. Wir verfügen nur über so gut wie keine Mikrofone. Diese stehen in großer Zahl bei den angeblich unterdrückten Frauen.



5. Die Neue Zürcher Zeitung beschäftigt sich mit den "biederen Barbaren" von heute:

Die Barbaren sind mitten unter uns. Sie lauern nicht am rechten oder unteren Rand der Gesellschaft, sie gehören nicht zu den Bildungsfernen und Bildungsverlierern, sie kommen nicht aus unterentwickelten Regionen, sondern sie sitzen an den Schaltstellen von Kunst und Wissenschaft, schreiben in Qualitätsmedien, diskutieren an Universitäten, leiten Gemäldegalerien, dominieren die Talkshows. Barbaren sind sie dennoch. Denn im Grunde ihres Herzens verachten sie die Kunst.


Hier geht es weiter.



6. In der Kommentarspalte des gestern veröffentlichten Beitrags von Lucas Schoppe über faschistoide Aspekte im Gegenwartsfeminismus kam es zu einer recht interessanten Debatte über den Umgang mit den faschistischen Männervernichtungsphantasien von Valerie Solanas, die sich in feministischen Kreisen bis heute großer Beliebtheit erfreuen.

Lucas Schoppe merkt dazu an:

Verrückt und erklärungsbedürftig ist (...) die enorme Skrupellosigkeit, mit der über Männer – als Gruppe und als Individuen – geredet und geschrieben werden kann. SCUM ist da nur ein besonders irres Beispiel.

Ich glaube, jeder Mensch, der auch nur ein, zwei Seiten des "Manifests" gelesen hat, merkt, dass Solanas damit an den Nationalsozialismus anknüpft – und zudem an den furchtbarsten der vielen furchtbaren Aspekte, an den industrialisierten Massenmord. Sie stellt diese Bezüge nicht subtil und versteckt her, sondern offen, klar und drastisch.

Die gern getätigte Behauptung, sie täte das mit satirischer Absicht, ist eine Schutzbehauptung, für die es keine Belege gibt. Die Sprache entwickelt durch ihre Drastik und Skrupellosigkeit für manche offenbar eine gewisse wilde Komik – aber der Text enthält überhaupt keine Ironiemarker.

Und wenn schon – was sollte denn damit satirisch überspitzt werden? Faschistoide Aspekte im Feminismus? Die Verwandlung der Holocaust-Erinnerung in Popkultur? Eine allgemeine Männerfeindlichkeit der Gesellschaft? Das ist alles ganz unwahrscheinlich.

Oft wird von Verteidigerinnen des Textes Swifts "Modest Proposal" als Vergleichstext herangezogen , aber dieser Vergleich ist ein Eigentor. Bei Swift ist nämlich die ungeheuer bittere Ironie den ganzen Text hindurch deutlich, so wie auch zweifelsfrei klar ist, wogegen sich die brutale Überspitzung richtet und welchen Zweck sie erfüllt. Eben das fehlt bei Solanas völlig.

Zur Beschreibung von Alkoholikerfamilien wird ja manchmal die Metapher vom "Dinosaurier im Wohnzimmer" verwendet. Der Alkoholismus eines Familienmitglieds (oder gar mehrerer) bedroht und zerstört zwar beständig die Familienstrukturen, aber alle sitzen mit diesem Dinosaurier gemeinsam friedlich im Wohnzimmer und tun so, als ob alles in Ordnung wäre.

Der tiefe Männerhass, der sich in Veranstaltungen wie der MeToo-Fashionshow oder im Solanas-Text zeigt, ist gleichsam der Dinosaurier im Wohnzimmer des Feminismus. Natürlich sind nicht alle Feministinnen Männerhasserinnen, so wie ja auch nicht alle Mitglieder von Alkoholikerfamilien Alkoholiker sind. Aber alle nehmen diesen Männerhass wahr und tun so, als wäre damit alles in Ordnung, zivil und nett. Und falls sie doch mal auf den Dinosaurier angesprochen werden, erklären sie schnell, der wolle doch nur spielen und meine es gar nicht so. Oder sie fragen unschuldig "Welcher Saurier denn? Siehst du hier einen Saurier?"

Für mich ist bei Solanas‘ Schrift aber noch ein anderer Aspekt wichtig. Der bleibende Erfolg dieses Textes zeigt, gerade in dessen nirgends verstecktem oder verbrämtem Anknüpfen an die nationalsozialistische Politik des Massenmords, dass der Nationalsozialismus auch für Menschen, die sich einer bürgerlichen Linken zuordnen, eine bleibende Attraktivität besitzt. Sobald sie eine Möglichkeit bekommen, dieser Faszination auf eine scheinbar politisch korrekte Art zu folgen, geben sie sich ihr regelrecht wonnevoll hin. Das ist schrecklich.

Der Schein politischer Korrektheit wird hier eben gerade dadurch hergestellt, dass sich die Massenmordphantasien gegen Männer richten. Auch das zeigt, wie wenig Männer – zumindest ALS Männer – im öffentlichen Diskurs geschützt sind. Männerhass wird regelrecht zur Entschuldigung für Menschen, die nationalsozialistischen Gewaltphantasien folgen wollen.

(...) Damit sind Männer heute natürlich immer noch nicht die neuen Juden. Solanas und ihre Fans bewegen sich zudem immer noch im Raum des Diskurses und bauen keine realen Konzentrationslager.


Darauf erwidert der linke Männerrechtler djadmoros:

Das ist natürlich zutreffend, aber die moderne, als "Antisemitismus" bezeichnete Judenfeindschaft beginnt nicht mit dem Vernichtungsantisemitismus der Nazis. Sie hatte eine Vorstufe, auf der das Judentum zum Inbegriff aller sozialen Probleme der modernen Gesellschaft erklärt worden ist, und in dieser Hinsicht finde ich die Analogien bezeichnend: alles, was man heute dem Mann vorwirft – pathologische Rationalität, pathologische Sexualität, pathologisches Streben nach Macht und Einfluß, pathologische wirtschaftliche Ausbeutung – hat man damals in ähnlicher Form dem Judentum vorgeworfen. Und zwar weithin erfolgreich, weil das komplexe Zusammenhänge auf ein simples Sündenbockmodell eingedampft hat und weil sich ein schwer artikulierbares Unbehagen mit der "sozialen Frage" scheinbar greifbar und plausibel zu machen schien.

Und darin ist der feministische Männerhass in meinen Augen ein präzises "funktionales Äquivalent" zum damaligen Judenhass. Der Jude wie der Mann werden gleichermaßen als "Zivilisationsschädling" definiert, um Probleme zu symbolisieren, die die Gesellschaft auf analytischem Wege nicht in den Griff bekommt. Umgekehrt wird über den spiegelbildlichen Kurzschluss "Frauenpolitik" als universeller Placebo installiert, um ersatzweise politische Handlungsfähigkeit zu simulieren, die in Bezug auf echte Probleme schon lange nicht mehr vorhanden ist.

Trotzdem bleiben natürlich historische Diskrepanzen übrig: weil es kein Äquivalent zum vorausgehenden jahrhundertelangen religiösen Judenhass und für den modernen, bürgerlichen Mann keine zum Judentum analoge Assimilationsgeschichte gibt, mit der er erst ein als vollwertig anerkanntes Gesellschaftsmitglied anerkannt worden wäre.

Aber Geschichte muss sich ja auch nicht immer eins-zu-eins wiederholen. Der springende Punkt ist in meinen Augen, dass sich der feministische Männerhass nicht einfach mehr auf eine alltägliche Doppelmoral beschränkt, sondern die Form einer kampagnenhaft inszenierten, kollektiven Hysterie annimmt – auch die McCarthy-Analogie wird ja zu Recht gezogen. Es sind dieselben Gruppen und Milieus, die sich an der Spitze der moralischen Freßordnung wähnen, die hier in ihrem faktischen Verhalten eine glatte Kopie, einen Klon dessen herstellen, was sie nominell lautstark verdammen: Sexismus und Rassismus. Und dabei VÖLLIG MERKBEFREIT sind.

Was beängstigenderweise bedeutet: Wenn die moderne Zivilisation keinen "Juden" mehr anbietet, dann muss er neu erfunden werden. Also wählt man sich die letzte Gruppe aus, bei der man das noch tun kann, ohne dass es offenkundig als Rassismus erkennbar wird. Nämlich Männer. Dass das überhaupt möglich ist, liegt vornehmlich daran, dass die über Jahrzehnte hinweg gepflegten und pseudowissenschaftlich geadelten feministischen Feindbilder zugleich in ihrem Feindbildcharakter verniedlicht und verleugnet wurden – beispielsweise in Gestalt des unaufrichtigen Umgangs mit dem Solanas-Text. Ich denke daher mittlerweile nicht mehr, dass der "Feminazi"-Begriff zu scharf ist, um sich gegen diesen zum Galopp gesteigerten Wahnsinn zu positionieren.


Bemerkenswert ist jedenfalls die bizarre Doppelmoral in diesem Lager. Während bei mancher feministischer Veranstaltung beispielsweise nicht mehr geklatscht werden darf, um empfindliche Anwesende nicht zu verängstigen, darf gegen Männer und Männerrechtler auch die extremste verbale Aggression aufgefahren werden. Und während Solanas Vernichtungsphantasien im Kulturbetrieb unbeanstandet bleiben, werden aktuell Harper Lee und Mark Twain vom Lehrplan gestrichen, weil sie eine "unbequeme Atmosphäre" erzeugen. Insofern hat die Neue Zürcher Zeitung Recht: Die Barbaren sind unter uns.

(Im rechten Lager tobt es natürlich ähnlich irre.)



7. Die ehrwürdige Londoner Times beschäftigt sich mit der neuen Zensurfreude vor allem in der jungen Generation. Ein Auszug:

Wir brauchen natürlich eine Moral, und zwar eine Moral, die dazu beiträgt, schlechtes Benehmen in Hollywood oder Oxfam in Frage zu stellen, aber dazu ist es nicht erforderlich, dass man sich in Bezug auf Sprache und Gedanken puritanischer verhält. Ich habe mich oft gefragt, wie es dazu kam, dass die Gesellschaften in der Vergangenheit plötzlich kritischer, konservativer und intoleranter wurden, etwa zu Beginn der viktorianischen Ära, aber ich dachte, dass ich in einer Zeit lebe, in der nichts davon passieren konnte, als die Kultur auf einer Einbahnstraße in Richtung Liberalität unterwegs war.

(...) Die Schlägertypen, die vor kurzem versuchten, Jacob Rees-Mogg daran zu hindern, an einer Universität zu sprechen, sind heute eine vertraute Routine auf dem Campus. Doch wie der amerikanische Journalist Andrew Sullivan warnt, ist der Campus ein Vorbote für die gesamte Gesellschaft: "Regularien am Arbeitsplatz lesen sich heute wie Campus-Sprachcodes von vor einigen Jahren. (...) Das Ziel unserer Kultur ist nun nicht mehr die Emanzipation des Individuums von der Gruppe, sondern die permanente Definition des Individuums durch die Gruppe. Früher nannten wir das Bigotterie. Jetzt nennen wir es 'politisch bewusst sein'. Sie sehen: Wir leben jetzt alle auf dem Campus."

Dennoch bleibe ich ein rationaler Optimist. Wie der Psychologe Steven Pinker in seinem neuen Buch, denke ich, dass "die Aufklärung funktioniert", immer noch. Die Vernunft kann über das Dogma, die Wissenschaft über den Aberglauben, die Freiheit über die Tyrannei, der Individualismus über die Apartheid siegen. Fortschritt ist nicht tot. Noch nicht. Aber wir haben zweifellos einige Schritte zurück in Richtung einer dunkleren Gesellschaft unternommen.


Ein weiterer aktueller Artikel der Times spricht an, wie Feministinnen auf Twitter gemäßigte Stimmen zum Schweigen bringen. Auch hieraus ein Auszug:

Während die Befürworter von #MeToo ihre anhaltende Macht feiern (...), haben andere argumentiert, dass die Bewegung auf unschöne Weise ausufert. "Die Post-Weinstein-Revolution hat ihre Phase des Terrors erreicht", sagte Kyle Smith, Filmkritiker der National Review. Was damit begann, schwere sexuelle Übergriffe zu thematisieren, so argumentiert er, zielt nun auch auf die Verfolgung von Akteuren wie Aziz Ansari und James Franco ab, deren angebliche Vergehen weitaus weniger schwerwiegend sind.

(...) Im Großen und Ganzen bilden sich zwei Gruppen heraus. Das gemäßigtere Lager, das [die Kultrukritikerin Katie] Roiphe als "schweigende Mehrheit" bezeichnet, besteht aus jenen, die sich klar dafür einsetzen, dass Missbrauchstäter wie Weinstein zur Rechenschaft gezogen werden, die sich aber gegen das ihrer Meinung nach wutentbrannte Überwachen von schlechten Dates, lüsternen Kollegen und einvernehmlichen Liebschaften am Arbeitsplatz wehren.

Die radikalere Gruppe schließt sich der Idee an, dass es eine Skala von "toxischer Männlichkeit" gibt: dass gruselige Textbotschaften und sexistische Witze auf einem Spektrum existieren, an dessen Ende sexuelle Übergriffe stehen. Um ein solches Verhalten zu verhindern, müsse die gesamte Struktur abgebrannt werden.

(...) Ein großer Teil der Energie der Bewegung wird jetzt für einen Reinheitskampf aufgewendet, bei dem jede Seite die feministischen Qualifikationen der anderen Seite in Frage stellt.

(...) Roiphe und andere Gemäßigte, die sich zu Wort melden, werden angegriffen, weil sie "Frauenfeindlichkeit ermöglichen" und den Patriarchen in die Hände spielen. Die solchermaßen Kritiserten wiederum stellen die radikale Herangehensweise einiger in #MeToo in Frage und argumentieren, dass Um-Hilfe-Geschrei wegen einer verirrten Hand oder einem misslungenen Date kontraproduktiv ist und die Bekämpfung schwerwiegendere Fälle von tatsächlichen Übergriffen untergräbt.

"Ich glaube nicht, dass diese Twitter-Feministinnen echte Feministinnen sind", sagte Roiphe. "Ein Teil der Sprache, die von dieser Bewegung benutzt wird, ist wirklich herablassend gegenüber Frauen; sie verweigert Frauen sexuelle Handlungsfähigkeit."

Roiphe warnt vor den Gefahren zwischen verschiedenen Typen männlichen Fehlverhaltens nicht mehr zu unterscheiden, vor der Gleichgültigkeit gegenüber einem fairen Prozess und dem Ersticken einer kontroversen Debatte. Das könne alle Angriffe auf das eigentliche Ziel untergraben: Männer wie Weinstein. "Wir haben diese Möglichkeit jetzt", sagte sie.

"Die Welt hört zu und ist fasziniert von diesem Moment des Wandels, aber stattdessen bringen wir diese wirklich zweifelhaften, rückschrittlichen Vorstellungen von Männern und Frauen vor. Es ist eine Chance, die von Extremisten und Gegnern der Meinungsfreiheit gefährdet wird. Ich habe das Gefühl, als würden wir die Niederlage dem Rachen des Sieges entreißen."

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