Montag, September 22, 2014

Gastbeitrag: So war der 3. Männerkongress 2014

Gestern habe ich hier auf Genderama eine kritische bis ablehende Einschätzung verlinkt, mit der der Bildungforscher Michael Klein auf das nach dem dritten wissenschaftlichen Männerkongress an der Uni Düsseldorf veröffentlichte Thesenpapier reagierte.

Tom Todd hat für die AG Trennungskinder, eine Arbeitsgemeinschaft der geschlechterpolitischen Initiative AGENS e.V., an dem Kongress teilgenommen. In einem Gastbeitrag für Genderama berichtet er heute darüber und äußert seine eigene Einschätzung der Veranstaltung.

Um das Ergebnis aus Sicht dieses Autors gleich vorwegzunehmen: Der Kongress war ohne Zweifel ein Erfolg – gemessen an dem Anspruch, fundierte und kritische wissenschaftliche Beiträge zu diversen Aspekten der seelischen Gesundheit von Jungen und Männern zusammenzutragen und einer interessieren (Fach-)Öffentlichkeit zu präsentieren. Auch war in fast allen Vorträgen eine klare Bemängelung der nicht wirklich gendergerechten Praxis in der gesundheitlichen, politischen und betrieblichen Versorgung und Berücksichtigung von Männern und Jungen spürbar.

Auch und vor allem war wichtig, dass deutlich eine Lanze für die These "nature AND nurture" (Natur UND Kultur) gebrochen wurde und damit sich immer deutlicher die doch komplexere psychogenetischen Bedingungen des Mannwerdens wie auch die naturgegeben Prädispositionen männlicher Eigenschaften herausstellen – wichtige Grundlagen einer selbstbewussten und emanzipatorischen Männerpolitik.

Aus Sicht politischer Initiativen wie AGENS (einige andere anwesenden Aktivisten dachten ähnlich) ergeben sich aber auch Wünsche für Verbesserungen. Darauf werde ich im Resümee dieses Beitrags noch zu sprechen kommen.

Der Kongress befasste sich mit den Themengruppen psychische Belastungen bei Jungen und Männern (ADHS, Depression, Drogenabhängigkeit), Gewalt, Psychotherapie für Männer und Präventionsarbeit.

Der Grundtenor des eröffnenden Vortrags "Die Enteignung des Phallischen" von Prof. Dr. Walter Hollstein, Autor des Buches "Was vom Manne übrig blieb", verdeutlichte die in allen Beiträgen mehr oder minder deutliche Kritik an den Folgen einer Benachteiligung der Männer in unserer Gesellschaft: Die Entmännlichung trage zur "Beraubung der Autonomie und Gestaltungsmöglichkeiten der Männer" bei. Selbstkritisch sieht er auch eine kollektive Verantwortung der Männer, die durch Technisierung zur Nivellierung der Geschlechtsunterschiede und so zur Selbstenteignung ("Selbstdomestikation") beigetragen haben.

Gleichzeitig aber beklagte er die entstandene Definitionsmacht der Frauen, die auch zu einer negativen Besetzung und "Entwertung" von Männlichkeit und männlichen Eigenschaften geführt hat. So sei etwa Leistung zu Karrieresucht und Autonomie zur Unfähigkeit zu Nähe umdefiniert worden. Zahlreiche Beispiele beleuchteten die von den Zuhörern mit Amüsement quittierten Auswirkungen: Beim einem gemeinsamen Fußballspiel gelten nur die Mädchentore und beim Volleyball wird den Jungen ein Arm hinter dem Rücken gebunden. Diese Entwertung und die daraus folgende Missachtung der Sorgen und Nöte der Männer haben Hollstein zufolge bei ihnen zu Passivität und Eskapismus geführt – von erhöhter Suizidität bis hin zur massenhaften Beziehungsverweigerung.

Aus einem andern Blickwinkel sah Dr. Peter Schneider in der Biologisierung von Krankheiten und einer biologistischen Anthropologie eine Ursache für die soziale Konstruktion psychopathologischer Kategorien, die beispielsweise die Beeinträchtigung der Entwicklung einer männlichen Identität in der Kindheit durch Überrepräsentanz der Mutter negierten. Es wirke befreiend, wenn man beispielsweise Autismus als nicht heilbar ansehen und diesen als eine Lebensform unter andern betrachten könne. Daraus, das möchte ich hier anmerken, sollte man allerdings keine Intoleranz gegenüber von der Mehrheit divergierenden Sexual- und Partnerpräferenzen ableiten. Es geht lediglich darum zu erkennen, dass (wie auch bei ADHS) scheinbar effektive Lösungen (biologistische Begründungen sozialen Verhaltens oder Psychopharmaka für natürliches expansives Verhalten wie sich raufen etc.) seelische Probleme und deren Ursachen und langfristige Auswirkungen verdecken können.

Die Beiträge von Dr. Bernhard Stier ("ADHS- Warum zappelt Philipp?") und Prof. Dr. Marianne Leuzinger-Bohleber ("Ergebnisse empirisch-psychoanalytischer Studien zu ADHS") zeigten, wie eine Pathologisierung und vornehmlich pharmakologische Behandlung (Ritalin) der Fehlentwicklung in der Kindheit der Jungen von der tatsächlichen hormonellen und neurobiologischen Andersartigkeit von Jungen ablenke (Stier) und in der Prävention und Behandlung andere Lösungen ausblende (Leuzinger-Bohleber). Beispielsweise könne man – im Gegensatz zu der nicht bewiesenen These eines genetisch vorprogrammierten Dopaminmangels – durchaus davon ausgehen, dass der Mangel an Bewegungsreizen in der frühen Kindheit von Jungen zu einem gestörten Stoffwechselgleichgewicht zwischen Dopamin und Serotonin führt. Hormonelle Unterschiede (Testosteron) und gehirn¬neurologische Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen bestimmen entwicklungspsychologische Unterschiede (die Sprachentwicklung bei Mädchen geht schneller vonstatten, Jungs brauchen mehr Bewegungsreize).

Eindrucksvoll zeigte Prof. Leuzinger-Bohleber auf, wie psychoanalytische Intervention und Supervision in Kindertagesstätten genauso wirkungsvoll in der Behandlung und Prävention von ADHS ist wie die gängige Kombination aus Verhaltenstherapie und Medikation mit Ritalin.

Nicht nur bei diesen beiden Wissenschaftlern wurde betont und von den Zuhörern mit großer Zustimmung begrüßt, dass sich die Schule an den Kindern und nicht die Kinder an der Schule ausrichten sollte – was vor allem durch Einführung eines "bewegten" Unterrichts geschehen könne, bei dem Kinder weniger am Stuhl kleben als bisher.

Prof. Dr. Matthias Franz, der Veranstalter des Männerkongresses, machte in einem Vortrag zu Gewalt und dem männlichen Rollenkäfig abermals klar, wie wichtig in der frühkindlichen Entwicklung eine gelungene Ablösung eines Jungen von seiner Mutter sei und inwiefern die fehlende Präsenz des Vaters – als Helfer zur Entwicklung eines positiven Bildes vom Manne im eigenen Körper – zu einer (männlich typischen) aggressiven Externalisierung des gestörten Selbstbilds führen könne. Sein Mitarbeiter André Karger zeigte differenziert auf, wie sehr die gängigen Klischees der Rollenverteilung in der Ausübung von psychischer und körperlicher Gewalt an der Realität vorbeigehen: Männer fühlten sich dreimal so häufig als Opfer körperlicher Gewalt wie Frauen (9,2% gegenüber 3,3%). Frauen und Männer übten körperliche Gewalt etwa im gleichen Maße aus, wobei Frauen häufiger häusliche, Männer eher öffentliche Täter seien. Eine intensive Debatte hierzu wird auf der Website des Robert-Koch-Instituts geführt.

Der Beitrag des Psychotherapeuten Björn Süfke zur genderspezifisichen Behandlung gestörter männlicher Identität betonte, dass Männern strukturell den Zugang zur eigenen Gefühlswelt verwehrt werde und diese als Folge (für sich genommen nicht falsche) Abwehrmechanismen entwickelten wie Anspruch auf Objektivität, Konfliktvermeidung, Handlungsorientierung und Leistungsdruck. Die Nichtwahrnehmung von Gefühlen (die ja Informationssignale sind) führe zu Hilflosigkeit. In der Therapie brauchen Männer Süfke zufolge liebevolle Konfrontation. Ähnlich argumentierte Dr. Blass: die väterliche Präsenz und Interkation ermögliche Konfliktspiele zur Überwindung der Mutterablösung – Spiele, die sowohl die Männlichkeit bestätigt als auch ihr Grenzen aufweist.

Weitere Vorträge wurden zu anderen Themen, etwa zu Depression und Arbeitsüberlastung, gehalten.

Mein Resümee:

Für mich lieferten die Beiträge der Redner unzählige Argumente zur Widerlegung der institutionalisierten Genderpolitik (mitsamt der Nivellierung der Geschlechterunterschiede und der damit einhergehenden Diskriminierung), wie sie hierzulande vorzuherrschen scheint.

Die Kritik Michael Kleins auf Sciencefiles entbehrt vielfach jeder Grundlage. Zwar stellten einige Vortragende fest, dass Männer auch Opfer der herrschenden Verhältnisse, aber keineswegs handlungsunfähig oder -unwillig sind. Die Behauptung Kleins, der Kongress habe "bestenfalls ... vorhandene Stereotype verfestigt", ist schlichtweg Unsinn. Im Gegenteil: Jeder Beitrag hat auf irgendeine Weise gängige Vorurteile gegenüber Männern als Unkenntnis darüber entlarvt, was Männer und Jungen eigentlich sind und brauchen.

Noch unsinniger ist die Behauptung, es gäbe keine "wissenschaftlichen Untersuchungen, die eine Wirksamkeit der psychoanalytischen oder psychotherapeutischen Ansätze belegen würden". Dies zeugt von polemischer Ignoranz. Alleine die Frankfurter Studie von Professorin Leuzinger-Bohleber zur psychoanalytisch gestützten Intervention bei sog. ADHS-Kindern in den Kindertagesstätten zeigt genau das Gegenteil.

Letztendlich erscheint mir seine Polemik nur als Ausdruck einer (teils verständlichen) Frustration darüber, dass viel analysiert wird, aber nur sehr langsam Lösungen für das täglich erfahrene Leid der belächelten Väter und Männer gefunden und umgesetzt werden. Ansonsten leistet Klein den Männern jedoch einen Bärendienst mit der unsachlichen Behauptung, den Kongressteilnehmern ginge es nur um eine Psychologisierung der Männer und der folgenden Optimierung ihrer Verdienstmöglichkeiten. Damit erreicht er geradezu das Gegenteil dessen, was er vermutlich auch will: dass wir Männer mit unseren Rechten, Gedanken, Fähigkeiten UND Gefühlen ernst genommen werden – entgegen dem Motto: Männer weinen nicht, haben nichts zu beklagen und sollten brav weitermachen, womöglich als Pantoffelhelden ihrer selbstbewussten Frauen.

Aber auf dem Kongress wurden auch Stimmen laut, die eine praxisnähere Gestaltung der Veranstaltung forderten. Dazu sagte Dr. Bernhard Stier: Es gibt schon lange nicht nur Forschungsergebnisse sondern auch Praxisbeispiele für andere als die hierzulande gängigen Strategien im Umgang mit den bekannten sozialen Missständen.

Immer dringender wird die Notwendigkeit einer Kooperation zwischen Wissenschaft und männerpolitischen Initiativen (und nicht nur dem Bundesforum!), um Möglichkeiten und Wege einer politischen Umsetzung dieser vielen nützlichen Erkenntnisse gemeinsam zu erörtern und zu beschließen.

Gegner haben wir genug. Was wir brauchen, ist die konstruktive Zusammenarbeit der diversen Strömungen in kritischer Solidarität und nicht profilneurotische Gockelkämpfe.

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